Der Schuss auf stehendes Wild auf der Pirsch kann bei großen Entfernungen enorm anspruchsvoll sein – Tipps zum Pirschen können also wahrscheinlich jedem Jäger weiterhelfen. Dabei kommt es auf die richtige Ausrüstung an, auf Vertrautheit mit der Waffe und Kenntnis der Ballistik. Der Österreicher Max Mayr-Melnhof zählt zu den größten jagdlichen Könnern weltweit – und verrät hier seine Geheimnisse.

Die Chance nutzen

Hat man auf dem Reviergang Wild vor, so kommt es nun darauf an, die Chance – wenn es denn eine ist – auch zu nutzen. Je geeigneter die Ausrüstung, je vertrauter die Situation und je besser die Schießleistung, desto eher wird das gelingen. Ich muss die Waffe beherrschen, das Zielen, das Abziehen, ich muss die Wirkung der Patrone kennen, die Entfernung, ich muss wissen, was ich mir zutrauen kann. Das muss man üben, üben, üben. Doch beginnen wir mit der Ausrüstung:

Pirschwaffe

Eine sauteure Maßwaffe ist nicht notwendig für einen besseren Jäger. Sehr gute Stangenwaffen liegen zwischen 2.000 bis 3.000 Euro, sehr gute Zielfernrohre bei 1.500 bis 2.500 Euro, also eh schon ein mittleres Vermögen. Dann noch ein gutes Fernglas, und für den Jäger, der weit und genau schauen muss, ein Spektiv. Kipplauf oder Feuerkraft in Form eines Repetierers ist Geschmacksache, ich führe beides. Mir geht es eher ums Gewicht, was ich herumschleppen muss. Wir reden ja von Pirschjagd.

© Pauline v. Hardenberg

Die Waffe kennen

Man muss seine Waffe kennen, muss mit ihr eins werden, muss sie ausgiebig testen, muss üben, muss ihr vertrauen, das ist schon einmal der halbe Erfolg, um sie auch auf größere Distanzen sicher einsetzen zu können. Ob Französischer Stecher oder Deutscher oder Flintenabzug – auch das soll jeder halten, wie er will. Aufgewachsen bin ich mit dem Deutschen Stecher, habe aber ganz umgestellt auf den Flintenabzug. Bei diesem wiederum muss aber jeder, soweit man mehr als eine Waffe führt, exakt gleich eingestellt sein. Ein Abzugsgewicht von 500, maximal 600 Gramm sehe ich als optimal. Stark genug, dass einem nicht die Schüsse abfahren, aber weich genug, den Schuss gefühlvoll abzuziehen (nie abdrücken). Es lassen sich die meisten Abzüge von einem guten Büchsenmacher nachstellen. Wenn Sie davor Angst haben, dann ist ein neu eingebauter Abzug eine sehr gute Investition.

Tipps zum Pirschen - Wichtige Utensilien

Ein gutes Stangengewehr mit ausgesuchter Fabrikmunition hält einen Streukreis von einem Hauptspeiseteller auf 400 Meter. Das sollten wir, im Rahmen der Tipps zum Pirschen, lernen zu beherrschen. Was brauche ich dazu: eine gute Waffe, eine Patrone, die mich nicht abwatscht, ein Zielfernrohr mit zumindest 10-facher Vergrößerung, einen Entfernungsmesser, einen wie beschriebenen Abzug und am besten eine Entfernungs-Schnellverstellung für das Absehen. „Meine Waffe hat immer gut geschossen, jetzt rennt alles weg!“ Bringen Sie Ihr Gewehr zum Büchsenmacher und lassen Sie dieses reinigen. Meist ist der Grund,  dass sich Ablagerungen im Lauf festgesetzt haben, welche Sie mit der herkömmlichen Messingbürste nicht mehr entfernen können.

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Abendfüllende Gespräche

Direktspanner haben bekanntermaßen Vorteile. Der einzige Nachteil ist, dass sich weniger Kräftige zum Teil schwer tun, den Spannschieber zu betätigen. Der beste bzw. leichtgängigste wird derzeit von der Firma Steyr gebaut. Ich habe zwei Blaser R93, beide im Kal. .270, beide schieße ich mit der Federal 130 Grain Ballistik Tip. Bei der einen fällt alles – der Sitz des Treffers ist gar nicht so entscheidend. Bei der anderen flüchtet alles zumindest noch 50 Meter. Ich will damit sagen, dass abendfüllende Gespräche über welche Patrone, welche Waffe oder welches Kaliber nie zu einem Ergebnis führen werden. Man muss es selbst probieren, selbst seine Erfahrungen sammeln.

Pirschkaliber

Ich bin kein Freund von zu dicken Pillen, von überstarken Magnumkalibern, die wir nicht im Ziel halten oder die uns so abwatschen, dass wir die Freude am Schießen verlieren, oder eine erfolgreiche Jagd jedesmal von einem Cut an der Augenbraue gekennzeichnet ist. Für Reh und Gams sehe ich alle 6-mm-Kaliber als vorteilhaft, also .243 und dergleichen, für Rot-, Schwarz- und Damwild sind .270, .308 oder .30-06 eine sehr gute Wahl. Um es auch hier klar zu sagen: Ich habe nichts gegen .300, 7 mm Rem., 8x68 usw. Meine Erfahrung hat mir nur gezeigt, dass viele nicht damit umgehen können.

Thema Patronen

Bleiben wir einmal beim Thema Patronen bei den Tipps zum Pirschen. Ich bevorzuge in jeder Kalibergruppe die leichten Geschosse, weil sie weniger stoßen und gestreckter fliegen. Bei zwei bis drei Gramm weniger habe ich noch keinen Unterschied am Wild bemerkt. Viel wichtiger ist der Sitz der ersten Kugel. Ballistik Tip ist eine schnell ansprechende Patrone in hoher Qualität. Oft diskutieren wir da über die Wildbretentwertung. Mir ist ein schnell verendetes Stück mit etwas Wildbretverlust lieber als ein verludertes. Ich habe aber auch sehr gute Erfahrungen mit diversen Billigpatronen bezüglich der Wirkung und der Präzision gemacht. Man muss das testen, gerade bei einer Neuanschaffung. Ich rate dazu, wenn man sich eine neue Waffe kaufen, in zumindest fünf bis sieben Schachteln verschiedener Patronen zu investieren. Meistens kristallisieren sich zwei bis drei heraus, welche die entsprechende Präzision bringen. Diese wiederum müssen dann auf ihre Wildwirkung getestet werden. Bei zehn bis 20 Stück Wild hat man ein gutes Bild.

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Tipps zum Pirschen - Pirschoptik

Ich möchte noch etwas näher auf das Zielfernrohr eingehen. Da gibt es für mich ein Idealglas für den Alltag: das Swarovski Z3 4-12x50 mit Ballistikturm. Warum: 4-fach ist noch gut für den nahen Fangschuss, 4 bis 6-fach ideal für Blattjagd und Stände im Stangenholz mit eingeschränkter Sicht und 12-fach mit Ballistikturm vollkommen ausreichend für große Entfernungen. Der Objektivdurchmesser ist ausgezeichnet bei Schüssen mit mäßigem Licht. Bei all meinen Waffen habe ich eine Entfernungs- Schnellverstellung. Wenn man also vier Entfernungen einstellen kann, so habe ich meine Waffe immer auf 200, 300, 350 und 400 Meter eingeschossen. Zwischen null bis 250 Meter müssen Sie sich bei der Jagd wenig Gedanken machen, erst danach beginnt das Messen und Nachstellen.

Angaben im Internet

Vertrauen Sie bitte nicht der Angabe auf der Patronenpackung, vertrauen Sie nicht den ballistischen Berechnern im Internet. Sie stimmen oft, aber oft auch nicht. Ein Lauflängenunterschied von einem Zentimeter macht zwei bis fünf Meter pro Sekunde aus, und dementsprechend tut sich dann einiges auf 400 Meter. Vergessen wir auch die Physik der Flugkurve und der Ziellinie nicht. Ein Klick auf 100 Meter ist meist ein Zentimeter, das sind auf 200 Meter aber schon zwei, auf 300 Meter vier und auf 400 Meter bereits acht Zentimeter.

Schussentfernung

Bewusst schreibe ich nicht über Entfernungen von über 400 Meter. Alles, was darüber hinaus geht, bedarf einem unverhältnismäßigen Mehraufwand an Übung und Erfahrung und sprengt hier den Rahmen für einfache Tipps zum Pirschen. Viele Jäger sagen, bei 150 Meter ist Schluss, mehr traue ich mir nicht zu. Sehr gut! Ich will nicht darüber diskutieren, ab welcher Entfernung das Waidmännische aufhört. Ein afrikanischer Berufsjäger hat mir einmal gesagt: „You have to smell the roses“, also du musst die Rosen riechen, wenn du sie pflücken willst. Ein Freund von mir, welchen ich einmal in Argentinien auf Hirsche führen durfte, sagte mir: „Ich schieße auf keinen Hirsch weiter als 60 Meter.“ Nicht weil er es nicht konnte, er ist ein ausgezeichneter Kugelschütze, er wollte vielmehr das Erlebnis spüren. Das alles ist okay, aber es gibt Situationen, wo ich noch auf große Entfernungen Fangschüsse antragen sollte oder eben bei der Steinbockjagd im Mittleren Osten nur zum Erfolg kommen werde, wenn ich mir Schüsse jenseits der 300 Meter zutraue.

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Viele Faktoren

Wenn Sie so weit schießen wollen, müssen Sie das vorher probieren. Im flachen Gelände und ohne Seitenwind. Erst wenn ich gute Ergebnisse auf größere Entfernungen erzielen kann, beginne ich meiner Waffe und mir zu vertrauen. Das preiswerteste auf der Jagd sind die Patronen, bitte seien Sie nicht knauserig, zumindest drei Packungen im Jahr sollten drin sein, um mich über 200 Meter hinauszutrauen. Am Schießbock ist alles leichter, vergessen Sie das nicht. Im Gelände muss ich eine Auflage finden, meine Aufregung, mein Jagdfieber in den Griff bekommen, die Abläufe müssen sich automatisieren. Ein paar Worte noch zur Windabdrift: Sie ist unmöglich zu berechnen, da der Winkel nicht genau feststellbar ist und die Windstärke sich ständig ändert.

Zwei Faustregeln

Ich habe da zwei Faustregeln: Wenn ich stehend freihändig meinen Gugger nicht mehr ruhig halten kann, unterlasse ich tunlichst alle Schüsse über 200 Meter. Und zweitens: Wenn man schon eine ordentliche Seitenbrise spürt – gehen wir einmal von einem 90 Grad Winkel aus –, dann nehmen Sie die Entfernung in Millimeter und halten Sie diese gegen den Wind. Dies ist eine Korrektur, welche in etwa stimmt.

Pirschtraining

Drücken Sie nie ab, ziehen Sie ab. Ich habe mir angewohnt, meinen Finger in den Abzug zu stecken. Ebenso habe ich mir breite Abzüge einbauen lassen. Ich ziehe nun einmal besser ab, wenn ich meinen Finger abwinkeln kann und nicht einfach nur mit der Fingerspitze den Abzug berühre. Man kann da mit viel Trockentraining, auch ohne scharfe Munition, den Umgang und das Abziehen üben. Verwenden Sie wenn möglich Pufferpatronen, die sind nicht so teuer und schonen den Schlagbolzen. Am besten gleich zwei bis drei, damit werden auch das Repetieren und das schnelle Nachladen im Kipplauf geübt. Wie viele Leute geben ein Vermögen für Auslandsjagden aus, finden aber nicht die Zeit, sich darauf vorzubereiten, oder knausern mit ein paar Patronen herum.

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Ausprobieren

Beschießen Sie nie Wild auf eine Entfernung, auf die Sie zuvor nicht geübt haben. Diese Versuche hat das Wild nicht verdient. Wenn Sie die Zeit und die Möglichkeit haben, gebe ich Ihnen folgenden Tipp: Stellen Sie sich Scheiben von 50 bis 400 Meter auf, jeweils in 50-Meter-Abständen, also acht Scheiben. Malen Sie einen Kreis in jede Scheibe von 25 bis 30 Zentimeter Durchmesser und beschießen Sie diese, aber nicht vom Schießbock aus. Liegend an einer Baumwurzel, mit Rucksack als Auflage, vom Dreibein... Wenn Sie den Kreis das erste Mal nicht treffen, dann haben Sie Ihre maximale Jagddistanz minus 50 Meter gefunden. Mehr sollten Sie sich oder besser dem Wild nicht zutrauen. Wenn Sie spazieren gehen, und das muss jetzt gar nicht in jagdlicher Ausübung sein, suchen Sie immer nach einem Geländepunkt, nach einer Auflagemöglichkeit. Probieren Sie es aus. Auch wenn Sie andere Spaziergänger für verrückt erklären mögen, aber jede Übung, jeder Umgang mit der Situation hilft, und es wird automatisiert.

Tipps zum Pirschen - Freude am Üben

Wenn Sie nicht die Möglichkeit haben, auf derartig weite Entfernungen zu schießen, gibt es folgende Übung: Schießen Sie mit 4-facher Vergrößerung auf 100-Meter- Ziele. Dies simuliert einen 300-Meter- Schuss mit 12-facher Vergrößerung. Den Streukreis müssen Sie nur mal drei nehmen. Ich werde oft gefragt, wieviel ich mit der Kugel übe. Die Antwort lautet: 1.000 bis 2.000 Trainingsschüsse. Bevor Sie das erschreckt und Sie sagen: Das Geld für Munition möchte ich haben, muss ich näher darauf eingehen. Mit jeder Waffe, welche ich jagdlich führe, gebe ich maximal 20 Trainingsschüsse inklusive jährlichem Einschießen ab. Der Rest, also etwa 1.500 Schuss, mache ich mit einem extrem starken Luftdruckgewehr – Günstigste Einschießentfernung 50 Meter. Die Munitionskosten halten sich somit in Grenzen. Sehr gerne schieße ich mit der .17 HMR auf kleine Ziele (Joghurtbecher, halbe oder ganze Tontauben, Streichholzschachteln) im Wald, Entfernungen bis 140 Meter. Wenn Sie dies mit einem Freund machen, so hat man viel Freude am Üben.

Ein gutes Luftgewehr

Was lernen wir aus diesen Tipps zum Pirschen? Wenn Sie die Ziele vorher aufgebaut und halb versteckt haben: gutes und bewusstes Schauen, Beobachten – Ihre Begleitung weiß ja nicht, wo das Ziel ist. Auflage suchen, erkennen, jegliche Hilfe nutzen. Wir haben die Möglichkeit von vielen Schüssen aus unterschiedlichen Situationen und Entfernungen. Der Lauf einer .17er hält einige Dutzend Schüsse in schneller Reihenfolge aus, ohne zu überhitzen. Der Schussknall hält sich in Grenzen bei diesem kleinen Kaliber. Wir haben aber die gleiche v0 wie bei einer Großen. Auch bei diesen Hinweisen werden viele sagen: Ich habe das Revier nicht, zu viel Unruhe. Das ist mir bewusst, aber es sei mir erlaubt, Möglichkeiten der Übung aufzuzählen auch in der Gewissheit, dass nicht alles überall möglich ist. Ich denke aber, mit einem guten Luftgewehr ist viel möglich, auch in kleinen Revieren.

© Pauline v. Hardenberg