Oftmals lassen ausländische Jagdreisende ein Vermögen in Deutschland, um auf schwarzes Rehwild zu waidwerken. Wieso schwarzes Rehwild in Deutschland so verbreitet ist und welche Geschichte dahintersteckt, erklärt der erfahrene In- und Auslandsjäger Jens Krüger.
Mythos „Schwarzes Rehwild“
Der Mythos schwarzes Reh galt zwar immer schon als besondere Rarität in unseren Revieren, doch der Wunsch eines Waidmanns, einmal im Leben einen „schwarzen Teufel“ zu erlegen, ist grenzenlos geworden. Selbst Auslandsjäger hegen mittlerweile dieses Verlangen. Der Mensch strebt halt stets nach etwas Seltenem, und so geht es auch dem Jäger. Ich jage hin und wieder beim Landesforst, und selbst hier heißt es: „Es wird kein schwarzes weibliches Rehwild freigegeben!“ Viele beneiden uns um diese Farbgebung beim Rehwild in unseren Revieren, hierbei gibt es nämlich keinen Aberglauben wie beim weißen Wild. Mittlerweile eskalierten die Preise für Abschüsse nach oben, zudem liegen die entsprechenden Reviere meistens in privater Hand – und an die ist schwer heranzukommen. Das nicht mehr aufgelegte Buch „Das Schwarze Rehwild“ von Meyer- Renken ist ein Renner und nur zu Höchstpreisen im Internet zu haben. Dabei gab es bereits 1889 eine erste Monographie über schwarze Rehe von Karl Brandt.
Schwarzes Rehwild in Deutschland – ein besonderer Platz
Mein erster erlegter schwarzer Rehbock war alt, die Erlegung spannend und faszinierend zugleich. Aber etwas Besonderes, weil er schwarz war, war es damals nicht. Das Wildbret schmeckt genauso wie bei einem normal Gefärbten, bei Trophäenstärke und Gewicht gab und gibt es keine Unterschiede. Heute aber schäme ich mich sogar ein wenig dafür, schwarzes Rehwild wie normal gefärbtes bejagt zu haben – wegen der veränderten Einstellung. Aber mein erster Bock hat zumindest einen besonderen Platz an der Wand, so dass er mir stets ins Auge fällt, und die Erlegung des heute Besonderen wird wieder neu erlebt.
Bereicherndes Erbe
Nun sind wir in unserem Revier ebenfalls der Euphorie verfallen, wissen um die Bereicherung unserer Wildbahn und empfinden es als Erbe, das erhalten werden muss. Deshalb gilt nun schon seit drei Jahrzehnten: Schwarze weibliche Stücke werden nicht mehr bejagt, Böcke nur, wenn ein Haupt-Schulterpräparat für den glücklichen Jäger selbstverständlich ist. Aber es gibt auch Reviere, die diese Farbvariante ablehnen. Hier werden schwarze Stücke bevorzugt erlegt, obwohl das Gebiet, in dem diese Färbung vorkommt, verglichen mit dem gesamten Verbreitungsareal des Europäischen Rehwilds vergleichsweise winzig ist. Früher hielt sich hartnäckig die Ansicht, Graf Wilhelm zu Schaumburg- Lippe (1724–1777) hätte das schwarze Rehwild aus Portugal oder Spanien eingeführt. Heute weiß man, dass es dort überhaupt kein schwarzes Rehwild gab.
Interessante Historie
Urkundliche Nachweise über das Vorkommen gibt es bereits vom Bischof Milo von Minden um 980, dass jedes Jahr eine Anzahl schwarzen Rehwildes für die bischöfliche Küche zu liefern sei. Heimisch ist das schwarze Rehwild bei uns also schon wenigstens 1.000 Jahre. Man weiß heute auch aus alten Überlieferungen, dass Ende des 16. Jahrhunderts schwarzes Rehwild bei Osnabrück und Verden stand. Ein weiterer Urstandort ist im Landkreis Lüchow-Dannenberg das Waldgebiet Lucie. Ausführliche Unterlagen wurden im Staatsarchiv Hannover gefunden. So wurden in der Gräflich von Bernstorffschen Herrschaft Gartow Fangjagden auf schwarzes Rehwild abgehalten. 1797 beschreibt Reichsgraf v. Mellin die Beobachtung schwarzer Rehe, deren Ursprung für ihn unerklärbar war, weil derartiges in der ganzen bekannten Welt seines Wissens nirgendwo sonst angetroffen würde. Er schreibt weiter: „Sie sind schwarz wie Tusche, beide Arten brunften miteinander, und man trifft auf rote Geißen mit schwarzen Kälbern. Die Äsung kann also diese Verschiedenheit in der Farbe nicht bewirken.“
Schwarzes Rehwild in Deutschland – die Ursprünge
Es muss also zwei Ursprünge gegeben haben, eine im Kreise Grafschaft Schaumburg und eine in der Nordheide um den Gartower Raum. Selbst Hermann Löns (1906) sieht diese beiden Gebiete als Urstandorte der schwarzen Form an und schreibt: „Die Ausbreitung der schwarzen Rehe von Haste und von der Lucie aus kann man ziemlich genau verfolgen. Um die Hauptstandorte ist das schwarze Reh am häufigsten, kommt aber in der ganzen Ebene zwischen Hannover und Oldenburg vor bis nach Ostfriesland und breitet sich von Jahr zu Jahr mehr aus. Heute hat sich das schwarze Rehwild nach Osten bis an die Elbe der Altmark, nach Westen über die Weser durch die ganze norddeutsche Tiefebene bis weit über Münster hinaus und bis fast nach Dortmund und in das Holländische hinein verbreitet.“ Auffallend dabei ist, dass schwarzes Rehwild in Deutschland regelmäßig nur ebene Landschaften besiedelt.
Schwarz macht Schlank
In Gestalt, sprich Körperbau steht das schwarze Rehwild den normalgefärbten Stücken in nichts nach. „Schwarz macht schlank“, weiß jede Frau, und so wirkt das schwarze Reh kürzer und gedrungener. Nach vielen Messungen erlegter Stücke ist bekannt, dass es kein Unterschied in der Körpergröße gibt. Auch beim Vergleich der Gehörne schwarzer und roter Böcke sind keine Unterschiede zu erkennen. Die Güte des Standorts ist – wie bei allem Reh- wild – vielmehr hauptverantwortlich für Gewichts- und Gehörnunterschiede. Sowohl das Sommerhaar als auch das Winterhaar sind schwarz. Dem winterlichen Haarkleid fehlt jedoch der Glanz der Sommerdecke. Im Frühjahr werden schwarze Rehe häufig im ersten Augenblick als rote angesprochen. Das Fehlen des weißen Spiegels ist aber ein untrügliches Zeichen für ein schwarzes Stück. Selbst der Bast ist rabenschwarz. Schwarzes Rehwild wird schon schwarz gesetzt, und es trägt die übliche Jugendfleckung der Kitze, aber weniger intensiv.
Der Gendefekt
Irgendwann muss sich durch Mutation das Schwarz entwickelt haben. Die Färbung entsteht durch zu viel schwarze Pigmenteinlagerung, es ist in Wirklichkeit also ein Gendefekt. Wir reden dabei von Melanismus, den wir auch beim Damwild oder beim Kaninchen relativ häufig antreffen. In der Tierwelt nichts Ungewöhnliches. Die bekanntesten Schwärzlinge sind die schwarzen Panther. Als Unterschied dazu steht der Albinismus, wo Pigmenteinlagerungen völlig fehlen. Das Schwarz wird rezessiv vererbt. So setzen schwarze Ricken rote Kitze oder rote Ricken schwarze Kitze. Oft zeigt sich nach dem Auftauchen eines schwarzen Rehs bis auf Weiteres kein weiteres dieser Färbung.
Keine Gesetzmäßigkeit
Eine Gesetzmäßigkeit in der zahlenmäßigen Entwicklung des schwarzen Rehwilds lässt sich auch nicht feststellen. Es tritt ganz willkürlich auf und verschwindet ebenso schnell wieder. Bei der Kreuzung von schwarzen mit roten Rehen zeigen alle Nachkommen in der ersten Generation den Phänotyp des dominanten Partners, also rot. Bei der Paarung mit ihresgleichen treten rot zu schwarz im Verhältnis 3:1 auf. Heterozygotie nennt sich diese Mischerbigkeit in Bezug auf ein genetisches Merkmal. Das Gegenteil ist die Reinerbigkeit, diese wird in der Vererbungslehre Homozygotie genannt. Ein Drittel des roten Anteils ist homozygot, die mit ihresgleichen gepaart immer nur rote Rehe ergeben müssen, und zwei Drittel heterozygot, die untereinander gepaart wieder 3:1 auftreten. So hatten wir schon eine rote Ricke mit zwei schwarzen Kitzen und umgekehrt. Aber auch eine schwarze Ricke mit zwei schwarzen Kitzen oder mit einem roten und einem schwarzen Kitz wurden beobachtet.
Schwarzes Rehwild in Deutschland - zu früh erlegt
Die Praxis in unserem Revier hat gezeigt, dass der Anteil an schwarzem Rehwild nur erhalten oder erhöht werden kann, wenn rotes Rehwild bevorzugt bejagt und das schwarze geschont wird. Der Anteil des schwarzen Rehwilds liegt heute in unserem Revier bei deutlich über 20 Prozent, vor vierzig Jahren lag er bei „nur gelegentlich“. Es braucht also schon einen sehr langen Zeitraum, um das Verhältnis steigern zu können. In vielen Revieren werden schwarze Böcke jedoch zu früh erlegt, man lässt sie nicht alt werden – sie sind ja etwas Besonderes, so dass manch zu junger Bock auf den Hegeschauen als Präparat zu sehen ist.
Des Kaisers Freude
Der bisherige Höhepunkt des schwarzen Anteils mit 90 Prozent war 1933 im Haster Wald westlich von Hannover erreicht worden, wo jedes rote Stück erlegt wurde, um die schwarze Farbe zu erhalten. Man ordnete sogar den Totalabschuss der roten Rehe an. Die Staatsforstverwaltung setzte sich zum Ziel, einen Rehwildbestand von ausschließlich schwarzen Stücken zu halten. Haster Einwohner erzählen, dass es damals nur schwarze Rehe gab und rote eine Seltenheit waren. Erwähnenswert ist die Erzählung um Kaiser Wilhelm II., der einen Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg fragte, woher er stamme, und dieser stolz antwortete: „Aus Haste!” Darauf der Kaiser erfreut: „Oh dort, wo die schwarzen Rehe stehen!“ Schwarzes Rehwild in Deutschland hatte also schon immer seine Anhänger.
Interessante Tatsachen
In unseren Rehwildbeständen unterscheiden wir nun rotes, gemischerbig-rotes und schwarzes Rehwild. Kreuzungsrehe zeigen in der Winterdecke einen breiten, dunklen Nacken und schwarzen Rückenstreifen, eine dunkle Hauptmaske und melanistische Abzeichen an den Hinterläufen. Im Sommer zeigen sie eine dunkle Gesichtsmaske, eine schwarze Lauscheraußenseite und einen schwarzen Hinterkopf. Wer eine Beziehung zu seinem schwarzen Rehwild aufgebaut hat, nutzt die Beobachtungsmöglichkeit einzelner Stücke über Jahre, um hinzuzulernen. Standorttreue, Territorialverhalten, Gehörnbildung, Nachwuchs, Wanderungen, all das können uns markante, auffällige schwarze Stücke besser vermitteln. Äußerst interessant finde ich auch die Tatsache, dass, obwohl seit drei Jahrzehnten keine weiblichen schwarzen Stücke mehr erlegt wurden, ich noch nie eine alte, verluderte schwarze Ricke gefunden habe. Aber wo bleiben sie dann? Unsere Reviere hüten ganz offensichtlich doch noch so manches Geheimnis.