Bockjagd in England

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass in England besonders brave Böcke nicht gerade eine Seltenheit sind.

Welcher Jäger träumt nicht davon, einmal auf der Bockjagd in England, einen starken Bock zu erlegen? Hierzulande sind die Möglichkeiten rar, anders im Süden des Königreichs. Begleiten Sie einen dänischen Jäger in die Grafschaft Dorset und pirschen Sie mit ihm auf starke Böcke.

Bezahlbarer Lebensbock

Ein Bronzemedaillen-Rehbock ist teuer, ein Silbermedaillen-Rehbock ist teurer und ein Goldmedaillen-Rehbock? Fast unmöglich zu bezahlen. Jedenfalls in Polen, Südschweden oder in Ungarn. Anders auf der Bockjagd in England. Hier kann auch der weniger gut Betuchte zu seinem Lebensbock kommen. Deshalb reisen mein Freund Palle und ich nach Dorset, wo wir uns mit Glynn Kirche treffen wollen. Glynn betreibt sein eigenes kleines Ein-Mann-Unternehmen, er führt Jagdgäste. Er wurde uns von einem anderen Jäger empfohlen. Da Ryanair, unsere Fluggesellschaft, keine Waffen transportiert, müssen wir uns eine Büchse leihen, in unserem Fall eine im Kaliber .22-250. Dieses Kaliber ist in England sehr beliebt. Wir einigen uns, dass Palle zuerst jagt. Mein größter Wunsch ist es zu fotografieren. Und so ziehen wir zu dritt los.

© Max Steinar
© Max Steinar

Pirschen auf der Bockjagd in England

Glynn und Palle pirschen vorsichtig entlang einer breiten Hecke. Schon hier wird deutlich, dass das Revier über einen guten Rehwildbestand verfügt. Denn so hoch die Äser reichen, ist die Hecke verbissen. Schritt um Schritt geht es vorwärts. Doch trotz aller Vorsicht springt plötzlich ein Bock aus der Hecke und flüchtet über einen Maisacker davon. „Verdammt! Das ist ein Starker!“ Glynn hat in seinem Leben schon viele brave Böcke in Anblick gehabt. Und dieser gehört dazu. Da er sein Revier kennt und ahnt, wohin der Bock flüchten wird, überlegt er kurz, was zu tun ist. Er will ein kleines Wäldchen umgehen, um zu schauen, ob seine Ahnung zutrifft. Also los! Zehn Minuten später erreichen wir die andere Seite der Feldholzinsel und damit eine weitere Hecke. Palle ist der erste, der hinter dieser einen Blick riskiert. Im selben Moment erstarrt er zur Salzsäule. Irgendetwas hat er gesehen.

Ein wirklich starker Bock

Ich schließe ganz, ganz behutsam zu ihm auf, um zu sehen, was er sieht. Auf etwa 60 Meter erkenne ich ein aus dem Getreide herausragendes Rehbockhaupt. Donnerwetter, was für ein Gehörn! Hier und da hängen noch einige Bastfetzen, die den ersten Eindruck noch verstärken. Glynn lag richtig: Der Bock ist wirklich stark! Und Palle? Ihn hat das Jagdfieber auf der Bockjagd in England gepackt. Langsam nimmt er die Büchse von der Schulter, bringt sein Zweibein in Position und die Waffe darauf in Anschlag. Er ist schussbereit, ohne dass der Bock etwas mitbekommen hat. Und nun? Glynn pfeift kurz. Im selben Moment äugt der Bock in unsere Richtung. Da der schussbereite Palle zwar regungslos, aber völlig frei steht, kann der Bock ihn eigentlich nicht übersehen. Was wird er tun? Verunsichert wird der Starke hoch und äugt zu uns herüber. Dabei steht er brettelbreit. Und schon knallt es. Nach wenigen Fluchten bricht der Bock verendet im Kornfeld zusammen. Palle zittert am ganzen Körper, Glynn und ich nehmen den Erleger freudestrahlend in die Arme.

© Max Steinar

Eine Goldmedaille

Nach ausgiebigem Gedrücke gehen wir zum Bock, um ihn in Augenschein zu nehmen. Gewaltig, was er auf dem Haupt trägt! Ein etwas abnormer, älterer „Gentleman“ mit knuffiger Basis. Wahrlich, eine sehr begehrenswerte Trophäe. Die Auspunktung ergibt 148,2 CIC-Punkte – Gold auf der Bockjagd in England!

Eimerweise Goldmedaillen auf der Bockjagd in England

Nun sind Palle und ich bei Rod Vodden, einem anderen Jagdführer in Dorset zu Gast. Er ist ein toller Kerl mit reichlich Jagderfahrung. Alle englischen Jäger, die ich bislang getroffen habe, verwenden Schalldämpfer auf ihren Waffen. Rod schießt die Kaliber .243 Winchester und .270 Winchester mit selbstgeladener Munition. Er drückt uns die .243 Winchester in die Hand. Nun aber ab ins Revier. Wir stoppen an einer alten Scheune. Rod will uns einige der Böcke zeigen, die er im Laufe der Jahre erlegt hat. Er kommt mit einem großen Eimer voll mit Gehörnen aus dem Schuppen zurück. Hut ab! Zahlreiche Gehörne sind sicher Bronze-, Silber- oder gar Goldmedaillenböcke! Für uns Skandinavier ist nur traurig, welch geringe Wertschätzung der Engländer diesen äußerst begehrenswerten Trophäen entgegenbringt. Erlegen und dann ab in den Eimer mit dem Gehörn, das würde es bei uns nicht geben.

© Max Steinar

Perfekter Lebensraum für Rehwild

Nun ja, der Eimer wandert wieder zurück in die Scheune, und wir fahren weiter zu einem rechteckigen Waldstück mit herrlich großen, alten Bäumen und riesigen Rhododendronhainen. Mittendurch fließt ein idyllisches Bächlein. An der Südseite grenzen Felder und Wiesen. Kurzum: rein optisch betrachtet ein perfekter Lebensraum für Rehwild. Wir pirschen durch den Wald, begleitet von einem wahren Konzert aus Vogelgezwitscher. Am Waldende angekommen, pirschen wir weiter an dessen Rand entlang in Richtung einer herrlichen Wiese. Plötzlich vernehmen wir ein abspringendes Stück Rehwild. Bock oder Ricke? Doch die Frage klärte sich, weil es ins Freie kommt und uns anäugt – Bock! Blitzschnell reißt Palle die Büchse von der Schulter, bringt den Schießstock in Position und backt an. „Noch jung“, so Rods einziger Kommentar. Freund Palle nimmt die Waffe wieder herunter und entspannt sich. Das quittiert das Böcklein mit schreckendem Abspringen.

Weiter geht’s auf der Bockjagd in England

Weiter geht’s. Als wir am anderen Ende der Wiese ankommen, sehen wir, wie ein Stück Rehwild aus dem Wald tritt. Weiblich! Da, noch ein Stück! Sechser! Er hat hoch auf. Sofort ist klar: Der passt! Wir gehen in die Downlage und robben 30, 40 Meter bis an den Rand des Waldes. Hier geht Palle in Anschlag, und kurz bevor der Bock wieder zu Holze sieht, lässt Palle fliegen. Deutlich zeichnend wirft sich der Bock herum, flüchtet im Halbkreis auf die Wiese hinaus, um nach etwa 40 Meter verendet zusammenzubrechen. Puh! Doch nicht genug. Fast im selben Moment tritt ein paar hundert Meter weiter ein noch stärkerer Sechser in die Wiese. Sofort nimmt Rod Palle an die Hand, um auch diesen anzugehen. Nach knapp 300 Meter Pirsch kommt Palle in gute Schussposition und kann auch diesen Bock erlegen. Zwar ist keiner der Sechser ein Medaillenbock, aber stark sind sie beide. Und dementsprechend groß ist unsere Freude über dieses gleich doppelte Waidmannsheil.

© Max Steinar

Eine Silbermedaille glänzt in der Sonne

Nun bin ich an der Reihe, meinen Dorsetbock auf der Bockjagd in England zu erlegen. Mein Führer, Jason, ist angenehm und jagdlich sehr kompetent. Er hat von einigen Bauern insgesamt etwa 500 Morgen gepachtet. Ein reines Feldrevier. Allerdings mit wenig Ausblick, weil jedes Feldchen von einer großen, breiten Hecke umgeben ist. Ein Rehwildrevier, wie man es sich besser nicht vorstellen kann. Jason erzählt, dass er 2.000 Pfund an Pacht zahlt. Wenn ich einen Goldmedaillenbock erlegen werde, kostet dieser 700 Pfund – egal wie stark er ist. Jason sagt, dass einige seiner Jagdgäste hier jedes Jahr Goldmedaillenböcke erlegen. Der Rekord war ein Bock bei 221,6 CIC-Punkten! Mit diesen Informationen im Kopf steigt die Vorfreude ins nahezu Unermessliche. Wir pirschen entlang einer dieser zahlreichen Hecken. Am Ende angekommen, sind meine wasserdichten Stiefel voller Wasser. Derart stark hat es über Nacht getaut.

Ein anderes Feld

Wir kommen zu einem anderen Feld. Doch nur ein gewisser Teil von diesem kann eingesehen werden. Um auch den Rest der mit Kräutern bestandenen Wiese in Augenschein nehmen zu können, müssen wir um eine Heckenecke schauen. Und gut, das wir das gemacht haben. Denn hier kommt ein Bock in Anblick, bei dem wir bereits ohne Fernglas erkennen, dass er stark ist. Ich schaffe es gerade noch, zwei Fotos vom Bock zu schießen, bevor er sich niedertut. Wir robben, Jason voran, bis auf 100 Meter an den Gehörnten heran. Der Plan ist, dass wir beide aufstehen und ich auf Jasons Schulter auflege. Gesagt, getan! Das Haupt des Bocks ragt aus dem Bewuchs. Und nun? Jason schreit ihn an – nichts passiert. Noch einmal ruft er, und noch mal – nichts. Nun klatscht Jason in die Hände und schreit. Und plötzlich wird der Begehrte hoch und äugt scheibenbreit zu uns herüber. Sofort bahnt die .22-250 sich ihren Weg und lässt den Starken schlagartig zusammenbrechen. Die Bewertung des harmonischen Gehörns ergibt 119,2 CIC-Punkte – Silber!

© Max Steinar

Das englische Rehwild

Das Rehwild in England hat eine wechselvolle Geschichte. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es in Großbritannien fast ausgerottet, abgesehen von einer kleinen Population in Schottland. Um 1850 wurde Rehwild aus Frankreich und Schottland im Zentrum von Dorset wieder angesiedelt. Von hier aus verbreitete es sich langsam über den südlichen Inselbereich. Aus Schottland kommend, ist das Rehwild nach Süden bis nach Blackpool und Liverpool vorgedrungen. Es gibt noch einen kleinen rehwildlosen Bereich in der Mitte Englands; es ist aber anzunehmen, dass das nördliche mit dem südlichen Vorkommen bald zusammenwachsen wird.

Erstaunliches Desinteresse der Engländer

Erstaunlich an der Bockjagd in England ist, dass die Einheimischen der Trophäe gegenüber weitgehend desinteressiert sind. Ein Stalker berichtete, dass unter zehn Prozent der Böcke von Engländern erlegt wird – der Rest, also über 90 Prozent, von Dänen, Schweden und anderen Ausländern. Böcke dürfen in England nur mit der Büchse bejagt werden. Bei einem früheren Besuch hörte ich einmal einen Jagdführer (Stalker) sagen, dass es 100.000 Büchsenjäger in England gäbe und 100.000 bis 120.000 Stück Rehwild jährlich erlegt werden. Viele Briten – insbesondere die Gartenfreunde – hassen Rehwild.

© Max Steinar