Jagd auf Sibirische Rehböcke

Die Jagd auf Sibirische Rehböcke fasziniert wohl jeden durch und durch passionierten europäischen Rehwildjäger.

Max Mayr-Melnhof glüht für die Jagd auf Sibirische Rehböcke. Fast jedes Jahr bereist er dessen unendliche Weiten, um mit seinen Freunden auf die kapitalen Rehböcke zu jagen. In diesem Interview verrät er, was die Jagd dort so faszinierend macht – und worauf Sie achten müssen.

Land der Riesenböcke

Bereits acht Mal hatte ich das Glück und die Freude, zur Jagd auf Sibirische Rehböcke gehen zu dürfen. In den späten 90er und frühen 2000er Jahren entfachte mein Jagdfreund Mayer Sepp aus Salzburg immer wieder das Feuer in mir, als er zu unserem wöchentlichen Tontaubentraining den einen und anderen von ihm erlegten Bockriesen mitbrachte. Ein großer Traum war geboren und reifte bis in den Oktober 2002. Von Salzburg über Frankfurt nach Jekaterinburg mit drei sehr guten Jagdkameraden aus Deutschland reiste ich an – und das Land der Riesenböcke nahm uns in Beschlag.

Erste Überlegungen

Die Wochen davor vergingen mit dem Sammeln von Informationen. Wohin, zu welchem Outfitter, mit welchem Vermittler, zu welcher Jahreszeit, mit welcher Waffe und welcher Ausrüstung, was für ein Wetter würde uns erwarten?

Die Schusszeit

Die Schusszeit auf den Sibirischen Rehbock beginnt in Kurgan am 25. August (in Kasachstan zehn Tage früher) und endet, wenn er abwirft, also bereits in den ersten Oktobertagen. Anschließend jagen noch die Einheimischen des Wildbrets wegen. Zu Beginn der Schusszeit befindet sich die Brunft auf dem Höhepunkt, also etwa vier Wochen nach der Hochbrunft unseres heimischen Rehwildes.

Die Organisation der Jagd auf sibirische Rehböcke

Eine Art kurganische Naturschutzpolizei („Sapsan“) hat sich soweit organisiert, dass sie über einen deutschen Vermittler ihre jagdlichen Dienste anbietet. Sie pachtet Reviere für mehrere Jahre vom Staat und bewirtschaftet diese vorbildlich. Jagdcamps wurden errichtet, die Wilderei kontrolliert, die Raubwildbejagung eingeführt und viele Wildwiesen angelegt. Zu Beginn eines jeden Jahres wird ein Abschussplan erstellt und die freigegebenen Stücke auf die Reviere verteilt. Auch die Abschüsse von nicht Sapsan-geführten Revieren werden von dieser Naturschutzpolizei bestimmt und zugeteilt. Das System läuft ähnlich wie in Kanada. Jeder Einheimische hat das Recht, ein oder zwei Stücke zu erwerben, dementsprechend erhält er Abschussbewilligungen. Die Abschüsse gelten pro Stück, egal ob männlich oder weiblich, ob gut oder schlecht veranlagt.

© Max Mayr-Melnhof

Wie steht es um die Wilderei?

Wilderei, Jagd-Anarchie, Kommerzialisierung, Radikal-Abschuss – häufig zu hörende Vorurteile von uns Europäern. Ich denke, da kann ich jeden beruhigen, der zur Jagd auf Sibirische Rehböcke reisen möchte. Die Reviere, die unendlichen Weiten, die Wilddichten sind so gewaltig, dass bei einer normalen Wildbewirtschaftung ein Leerschießen der Reviere unmöglich ist. Natürlich wird, wie fast überall, vereinzelt Schindluder getrieben. Ich hörte von Jagdgästen, die in einer Woche nicht ein einziges Stück Rehwild in Anblick hatten. Lassen Sie sich wie immer Referenzen geben. Vorsicht: Preiswert heißt nicht günstig, es könnte auch Betrug dahinter stecken. Durch das Internet hat man mittlerweile genug Möglichkeiten, sich zu erkundigen. Ich fahre jedes Mal mit demselben Jagdvermittler, oft in verschiedene Reviere. Auch wenn diese unterschiedliche Wildbestände aufwiesen, so wurde ich doch nie enttäuscht.

Sind die Böcke bestätigt?

In der Regel nicht. Wenn man einmal dort gejagt hat, erkennt man, dass dies auch kaum möglich wäre. Die Optik der Einheimischen ist nicht die beste, und die Reviere sind so riesig, dass man selten einen Ort zweimal sieht. Was nicht vom Auto aus in Anblick kommt, bleibt verborgen.

Welchen Anblick kann man bei der Jagd auf sibirische Rehböcke erwarten?

Die Wilddichten lassen sich natürlich nicht mit denen in unseren Revieren vergleichen. Es gab in Kurgan Pirschgänge, bei denen habe ich nicht einen einzigen Bock gesehen (wohl einige Geißen und Kitze). Aber es gab Ausfahrten, da sah ich 100 bis 200 Stück Rehwild in wenigen Stunden! Solchen Anblick hat man meist auf Wildwiesen und abgeernteten Feldern im Herbst, wenn das Wild sich vor den harten Wintern Feist anäsen muss. Normal ist es aber nicht.

© Max Mayr-Melnhof

Welche Jahreszeit ist die Beste?

Das erste Mal war ich Anfang Oktober zur Jagd auf sibirische Rehböcke, alle weiteren Male zum Anfang der Schusszeit. Warum? Ich liebe die Brunft, und wenn uns ein 40 bis 50 Kilogramm schwerer Bock springt, ganz egal, ob man diesen erlegt oder nicht, so ist dies der Höhepunkt der Bockjagd. Wenn man das Blatten nicht beherrscht oder einfach schlechte Tage erwischt, so sind die Erfolgsaussichten deutlich schlechter als Ende September, Anfang Oktober. Im Herbst sitzt man vermehrt im Auto und fährt Wildwiesen ab. Hier versucht man, Böcke auszumachen, um sie dann anzugehen und zu erlegen. Das Besondere: Man muss sehr weit schießen.

Wird Rehwild im Winter gefüttert?

Ja, aber man muss auch sagen, wie im Winter gefüttert wird. Keine Mast, keine Pellets, kein Getreide, denn das könnten sich die einheimischen Jäger gar nicht leisten, obgleich sie sehr um das Wohl ihres Wildes bedacht sind. Luzernewildäcker werden geerntet und im Winter Reh und Elch als Heu in einfachen Krippen gereicht. Auch Birkenblätter werden im Sommer getrocknet und in der Notzeit ausgebracht. Das alles läuft sehr bodenständig und der Natur angepasst ab. Wenn man sich den Spaß macht und über eine App die hiesigen Wintertemperaturen verfolgt, dann wird man sehen, dass es über Wochen minus 20 bis minus 30 Grad Celsius kalt ist. Tag und Nacht. Nebenbei kommen hier Wolf, Luchs und anderes Raubwild vor, die alle den Rehen das Leben erschweren.  

Welche Waffe?

Vor der ersten Reise zur Jagd auf sibirische Rehböcke wurde mir zu großen, schnellen Kalibern geraten. Daraufhin bin ich mit meiner langen, unhandlichen, nicht zerlegbaren .300 WSM angereist. Schnell war mir klar, dass diese Wahl eine vollkommene Übermotorisierung bedeutete. Man jagt auf Wild, das etwa die Größe eines Damschmaltiers hat. Also, nehmen Sie die Waffe mit, der Sie blind vertrauen. Heute jage ich nur noch mit meiner .243 Win. in Sibirien, und das ist vollkommen ausreichend. Die Ausnahme: Sie wollen auch einen Elch erlegen, denn die gibt es dort. Was viel wichtiger als die Kaliberfrage ist: Man sollte in der Lage sein, auf 300 Meter gute Trefferbilder schießen zu können. Und das lässt sich vorher üben.

© Max Mayr-Melnhof

Springen Sibirier aufs Blatt?

Im Jahre 2006 habe ich einen Film begleitet, der Kameramann war der frühere JÄGER-Chefredakteur Horst Rohleder, welcher leider drei Jahre später viel zu früh verstorben ist. Horst war ein großer Könner seines Fachs, und wir erlebten die Brunft des Jahrhunderts. In sieben Jagdtagen sprangen mir fast 100 (!) Böcke. Nicht vorher oder nachher habe ich das annähernd erleben dürfen. Der Schnitt liegt normalerweise bei ein bis drei springende Böcken pro Pirsch. Geblattet wird genau wie bei uns. Wenn man will, kann man lauter und aggressiver blatten. Einerseits sind die Reviere größer als bei uns, andererseits ist es vollkommen egal, wenn man mal einen Bock verblattet.

Erstes Blatten

Die ansässigen Jäger beginnen, mit der Zeit in manchen Gebieten ein Gefühl für das Blatten zu entwickeln. Vor ein paar Jahren wussten sie noch nicht einmal, dass man Böcke locken kann. Auch Klaus Demmel, den ich dort erleben durfte, hat viel Vorarbeit geleistet. Bei unserem Treffen hat er mir einen seiner Blatter geschenkt. Ich verwende ihn noch heute – Zuhause und im Osten – mit großem Erfolg. Blattstände oder Hochsitze sucht man in der Regel vergeblich. Ich habe über die Jahre gemerkt, dass man selber ein Gefühl entwickeln muss, wo man blattet, wo ein Alter seinen Einstand haben könnte oder wie man sonst die Erfolgsaussichten steigern kann. In Sibirien gibt es derart riesige Getreidefelder, dass ein Blatten hier keinen Sinn macht. Das größte Feld, das ich in Kasachstan gesehen habe, hatte sage und schreibe 10.000 Hektar!

Schnelles Lernen

Man muss denken wie ein Rehbock, wenn man die Revierteile mit dem Geländewagen abfährt. Bei der Jagd auf sibirische Rehböcke schaut man nach Fege- und Plätzstellen, beobachtet den Wind und erklärt den einheimischen Jägern, wann man stehenbleiben möchte, wo man hingehen will und wo ein Blatten vielversprechend sein könnte. Nach meiner Erfahrung lernen die Pirschführer unglaublich schnell, auch wenn man sich sprachlich kaum verständigen kann. Wenn man sich nicht äußert, besteht die Gefahr, stundenlang nur im Auto zu sitzen, was nervtötend sein kann. Zudem ist es auch nicht das, was ich von der Jagd erwarte.

© Max Mayr-Melnhof

Ist es schwierig die Entfernung zu schätzen?

Vorsicht: Auf der Jagd auf den Sibirischen Rehbock verschieben sich die Maßstäbe. Man sieht einen guten Sibirier, will ihn erlegen, schaut durch das vertraute Zielfernrohr und denkt: „Das müsste passen, der ist ja nur 200 Meter entfernt.“ Dann der Fehlschuss und gleich eine Enttäuschung zu Beginn. Der Bock ist nämlich doppelt so groß und somit 400 Meter entfernt! Messen Sie immer vorher die Entfernung, bis Sie ein gewisses Gefühl entwickelt haben. In der Brunft sind variable Zielfernrohre mit Absehen-Schnellverstellung von großem Vorteil. Ihr Traumbock könnte auf zehn Meter springen oder auf 350 Meter am Feld stehen.

Wie sind Unterkunft und Kultur?

Ein Beispiel für die Unterkünfte sehen Sie auf dem Bild. Das Essen ist immer gut, aber leider meist viel zu viel. Ich warne vor zu langen und intensiven Feierlichkeiten. Die Jäger dort dürfen nicht von alleine Alkohol trinken. Werden sie aber vom Jagdgast eingeladen und aufgefordert, hat dies meist ein böses Ende. So verlieren Sie schnell ein bis zwei Jagdtage, da sich Jäger und Begleiter erst wie- der erholen müssen. Da ich Abstinenzler bin, habe schon viel erlebt und gesehen – aber nur wenig vergessen.

© Max Mayr-Melnhof

Wie ist die Organisation?

Die einheimischen Jäger sind immer zu zweit. Das ist angenehm in den weiten Bockrevieren, falls doch einmal etwas passieren sollte. Einer jagt, der andere bleibt beim Auto und kommt dann meist nach. Somit erspart man sich oft lange, mühsame Rückwege. Gefahren wird zumeist mit russischen Jeeps. Nicht komfortabel, aber höchst zuverlässig. Meine Böcke habe ich immer selber aufgebrochen, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Einheimischen kennen es nicht, dass Wild möglichst schnell nach seiner Erlegung aufgebrochen wird. Sie verfrachten den Bock einfach in den Kofferraum. Im Camp angekommen, beginnen sie sogleich damit, ihn zu zerwirken – aber ohne ihn vorher aufzubrechen. Irgendwie lässt sich unsere Einstellung zu Hygiene und Tradition doch nicht so ganz verleugnen. Also lege ich selber Hand an, es dauert ja nur wenige Minuten.

Wie häufig sind Kapitalböcke?

Die Jagd auf sibirische Rehböcke ist eine Trophäenjagd. Und jeder träumt von Böcken jenseits der 1.200 Gramm. Man darf das aber auf keinen Fall erwarten. Ich habe über die Jahre schon einige Dutzend Sibirer erlegt, mein bester hat 1.150 Gramm, einige wenige über 1.000. Ich will damit sagen, dass ein Bock knapp unter 1.000 Gramm bereits eine ansehnliche Trophäe darstellt. Die Ausnahmen darüber sind selten – aber regelmäßig. Sie können davon ausgehen, in fünf Jagdtagen mit zwei bis drei Böcken nach Hause zu fahren, von denen Sie keinen je vergessen werden.

© Max Mayr-Melnhof

Ist Sibirien teuer?

„Jein!“ Es ist preislich interessanter als viele europäische Bockländer. Ein kleiner Sibirier, etwa ein alter Spießer, ist im Verhältnis teuer. Sollte aber ein Rekordbock zur Strecke kommen, so kommt einen das günstig, da die Preise nach oben gedeckelt sind.

Was macht sie so besonders?

Bekommt ein Sibirischer Rehbock in Ihrer Nähe Wind von Ihnen, so werden Sie etwas erleben, was Sie so schnell nicht wieder vergessen: Er schreckt so unglaublich laut, dass es einen beim ersten Mal – überhaupt wenn’s nahe bei ist – aus den Socken zieht. Die Einheimischen werden immer versuchen, einen relativ schnell zu Schuss zu bringen. Also wenn er halbwegs aufhat, so wird man, in welcher Sprache auch immer, aufgefordert zu schießen. Oft sind es hohe, dünne, weit unterdurchschnittliche Böcke. Man sollte schon halbwegs wissen, worauf man schießt. Also unbedingt vorher einen Blick durchs Fernglas, besser durchs Spektiv wagen. Meine Erfahrung über die Jahre ist, dass meine besten Böcke, die ich erlegen konnte, sechs bis neun Jahre alt waren.

Wie sind die Temperaturen?

Ende August/Anfang September ist es meist sonnig mit zehn bis zwanzig Grad Celsius, nachts kann es Bodenfrost geben. Im Oktober kann es nachts schon minus fünf Grad Celsius haben.

Welche Ausrüstung brauche ich zur Jagd auf sibirische Rehböcke?

  • Repetierer ab .243 Win.
  • 40 Patronen
  • Kaliber mit gestreckter Flugbahn
  • Fernglas (große Vergrößerung)
  • Spektiv
  • Entfernungsmesser
  • Mückenschutz inkl. Netz fürs Gesicht
  • leichte, wasserdichte Schuhe
  • Zwei- oder Dreibein
  • gutes Messer
  • kleine Snacks
  • leichte Campschuhe
  • Schlafsack
  • Reiseapotheke

Wo muss ich eigentlich hin?

Von Frankfurt gibt es Direktflüge bis Jekaterinburg, von hier aus geht’s mit dem Auto ins Revier. Bei der Einreise benötigen Sie nur einen Reisepass mit eingetragenem Visum. Dies und die Waffeneinfuhr besorgt der Jagdveranstalter. Für die Ausfuhr Ihrer Trophäen bekommen Sie ein internationales Veterinärzertifikat. Sie können Ihre Gehörne – gut verpackt – im Reisegepäck mitnehmen und problemlos in die Europäische Union einführen. Wer in Kustanai jagt, kann direkt bis Astana (Hauptstadt von Kasachstan) fliegen. Von dort aus geht es weiter mit dem Geländewagen in die Reviere. Wegen des offenen Geländes und der teils riesigen Freiflächen schießt man weiter als im heimischen Revier. Fast überall gibt es die Möglichkeit, auch gleichzeitig einen Elch zu buchen. Elchwild kommt immer wieder auf Pirschfahrten in Anblick. Die Gesamtkosten inklusive Flug liegen je nach Erfolg und Trophäe zwischen 3.000 und 5.000 Euro.  

© Max Mayr-Melnhof